Süß, hochbegabt, cool, mutig, stark, ordentlich, zart, anmutig, seriös, normal, organisiert, selbstsicher, schön, durchsetzungsfähig, unbeugsam, ausgewogen, beliebt, elegant, stressresistent, grandios… etc. Alle Schachteln waren schon besetzt. Da hat sich der Liebe Gott kurzer Hand auf den Weg gemacht, noch eine freie Schachtel zu suchen. Am Weg zum göttlichen Abstellkammerl ist er über die letzte verbleibende leere Schachtel gestolpert. Ein wenig zerzaust und windschief war sie dann. Aber im Grunde genommen genau perfekt. Schnell hat er mit Permanent Marker etwas auf das verstaubte Schild gekritzelt und mich reingesetzt. Da hat er g‘lacht, der Liebe Gott, wie er die Kiste runter auf die Erde g‘schickt hat. Das wird lustig. Zumindest aus der Ferne betrachtet. La divina commedia – die göttliche Komödie.
Ich bin die…
Ich bin die, die an der roten Ampel zum Stehen kommt, zu ohrenbetäubendem HipHop und RnB auf dem Fahrersitz herumwuselnd, während ihre Kinder peinlich betreten die Kapuze tiefer ins Gesicht ziehen und möglichst unter dem Sitz verschwinden, um nicht mit ihr in Verbindung gebracht zu werden.
Ich bin die, die im 7. Monat der ersten Schwangerschaft in überdimensionalen Leggins und Umstands-T-shirt durchs Fitnesscenter gewatschelt ist, während zwei vorbeigehende zarte Fitness-Elfen einander schockiert zugeflüstert haben: „Die sollte einmal ihren Bauch trainieren, ist ja furchtbar!“
Ich bin die, die stolz in Griechenland auf griechisch nach dem Weg gefragt, aber die Antwort nicht verstanden hat und dann zielsicher in die falsche Richtung gegangen ist.
Ich bin die, die zur Aufmunterung ihre Mutter im Krankenhaus besucht hat, während die Bettnachbarin ihr mitfühlend „Ist die immer so?“ zugeflüstert hat.
Ich bin die, die beim lässigen Absteigen vom Surfbrett auf den einzigen zerbrochenen Teller weit und breit im seichten Gewässer gestiegen ist und sich den Fuß von vorne bis hinten aufgeschnitten hat. Die, die mitfühlend auf eine verdächtige Blutspur am Ufer geschaut hat, bevor sie festgestellt hat, dass sie zu der Blutlache unter ihrem eigenen Fuß führt.
Ich bin die, die in der Schule immer in der letzten Reihe gesessen ist und leise die Antwort auf eine Frage der Lehrer vor sich hingeflüstert hat. Während die Sitznachbarn dann selbige nach vorne gebrüllt und ihr „Mitarbeits-Plus“ kassiert haben.
Ich bin die, von der manche Lehrer bis zur Matura geglaubt haben, sie kann nicht sprechen.
Ich bin die, die in Jugendjahren vor Aufregung davongelaufen ist und sich im Zimmer eingesperrt hat, weil sie ein junger Mann in der Disco zum Tanzen aufgefordert hat.
Ich bin die, die Beistriche nicht nach grammatikalischen Regeln, sondern ästhetischen Grundsätzen verteilt. Zwei hier, drei dort… hübsch muss es aussehen – et voilá!
Ich bin die, die stur und allen Rechtschreibregeln zum Trotz immer noch das „ß“ in Worten verwendet, in denen es eigentlich seit vielen Jahren dank Rechtschreibreform ausgerottet wurde. Aus gleichem Grunde bin ich deshalb auch die, die bis an ihr Lebensende „Friseur“ statt „Frisör“ und „Djibouti“ statt „Dschibuti“ oä. schreiben wird, da die verunstaltende „Vereinfachung“ der österreichischen Sprache zu einem akuten Ausbruch von Augenkrebs führen würde…
Ich bin die, die mit einer Horde von Rollator-schiebenden Senioren das SB-Foyer der Bank Austria bevölkert um als letzte meiner Generation wild auf dem Automaten herumzudrücken, um meine Papier-Zahlscheine zu überweisen.
Ich bin die, die Tränen in den Augen hat, wenn mir meine Tochter ein YouTube Video zeigt, in dem der kleine wuschelig-grüne „Tiny Chef“ einen Anruf bekommt und bitterlich weint, weil seine Tiny-Chef-Show gecancelled wird.
Ich bin die, die nach ausuferndem Sockenverlust durch Maschinenwäsche aus der Not eine Tugend gemacht hat und mittlerweile seit vielen Jahren aus Prinzip zwei verschiedene Socken anzieht.
Ich bin die, die sich aufgrund ihrer Prüfungsangst drei Mal vor der Matura übergeben hat und eine Stunde vor Beginn einen unerklärlichen Ausschlag bekommen hat. Die, die bei der schriftlichen Mathe-Matura einen entwürdigenden „Fetzen“ kassiert hat. Die, die dann bei der mündlichen Prüfung für eine Rechnung zwei Lösungen hatte, wovon beide falsch waren. Die, bei der sich die Vorsitzenden vermutlich gedacht haben „Oh mein Gott, geb‘ ma ihr einfach den Vierer, sonst kommt sie nächstes Jahr wieder!“
Ich bin die, die bei minus 10°C im Schneegestöber mit Nierenwärmer, 3 Jacken, neonfarbener Warnweste und orthopädischen Schuhen am Blumenrad durch die Stadt fährt und unfreiwillig Leute erschreckt. Die, die vor lauter vorauseilendem Gehorsam dann höflich Leute vor sich über den Schutzweg winkt. Dabei das Gleichgewicht verliert und wie ein überdimensionaler Käfer am Rücken im Schnee liegt.
Ich bin die, die allein in der Klasse gesessen ist, während die coolen Teenager in die Raucher-Aula gegangen sind um mit den anderen coolen Kindern zu tratschen.
Ich bin die, die von der Turnlehrerin gezwungen wurde, statt eine normale Turnstunde (was cool und von Erfolg gekrönt gewesen wäre), eine Stunde „Rhytmische Gymnastik mit Band“ vorzubereiten. Eine denkbar schlechte Wahl. Meine komplett unrhythmischen Bewegungen und das wüste Herumzuckeln des zarten rosa Bandes in Verbindung mit Tanzbewegungen, die an einen epileptischen Anfall erinnern, haben alle Anwesenden veranlasst, dem bizarren Schauspiel schweigend fassungslos beizuwohnen. Glücklicherweise bin ich deshalb auch die, die nie wieder gezwungen wurde, rhythmische Gymnastik zu machen.
Ich bin die, die vor ihrem „Mama-Leben“ sehr sportlich und durchtrainiert war. Die Halbmarathon gelaufen, Basketball, Volleyball, Tennis gespielt, hat. Rad, Ski und Snowboard gefahren ist, bevor ihre Kniescheibe eines Tages beschlossen hat, ihre Umlaufbahn mutig zu verlassen. Mit einem kräftigen „Ahoi“ hat sie die Leinen des Kreuzbandes gekappt und sich Richtung Sonnenuntergang verabschiedet.
Das Schild
Nach jahrelanger Suche nach dem geheimnisvollen Schild auf meiner Schachtel dämmerte es mir langsam… ich kramte in den Untiefen meiner Erinnerungen und konnte es plötzlich ganz klar vor mir sehen. „Uncool“ stand da. In eilig hingeschriebener Krakelschrift. Ganz eindeutig. Im ersten Moment war ich zugegebenerweise doch ein wenig gekränkt. All die Jahre, in denen ich versucht hatte, mich in die „normalen“ Schachteln der Anderen dazuzuquetschen. Mit Gewalt. Nur um früher oder später wieder aussortiert zu werden. Auf einmal jedoch erkannte ich das Geschenk hinter meinem Schild. Nicht ins „System“ zu passen. Anders zu sein. Die Norm zu sprengen.
Von Schachteln und Schubladen
Mittlerweile habe ich die Welt der Schachteln und Schubladen hinter mir gelassen. Befinde mich im freien Raum. Im Zwischenraum. Erobere mir unbekannte Territorien. Bewege mich auf neuen Pfaden. Im Gepäck nicht nur „uncool“, sondern auch einen Hauch von „ver-rückt“, „abenteuerlustig“, „störrisch“, „leise“ und „laut“, „unkonventionell“, „beseelt“, „fröhlich“, „empathisch“, „unbeugsam“, „unbelehrbar“, „herzlich“, „aufmüpfig“, „emotional“, „aufmerksam“, „dankbar“ und definitiv „lebendig“ und „glücklich“ … vor allem aber auch „AUTHENTISCH“ und „FREI“! …und ja,… auch ein ganz klein wenig „stolz“!
Und in der Ferne höre ich ihn liebevoll lachen… den Lieben Gott.