Wann haben wir aufgehört, zu schaukeln?

Immer noch ist der Spruch „Lebe, als wäre es dein letzter Tag!“ gebräuchlich. Um Menschen aus der Lethargie eines unerfüllten Lebens herauszukatapultieren. „Was würdest du tun wollen, wenn du wüsstest, dass du nur mehr ganz wenig Erdenzeit (1 Jahr, 1 Monat, 1 Tag…) zur Verfügung hast?“

Mir ist klar, dass der Satz wachrütteln soll. Menschen erinnern soll, ihre Lebenszeit nicht zu vergeuden. Nicht in Situationen oder Beziehungen zu verharren, die ihnen im Grunde nicht entsprechen. Die möglicherweise gar destruktiv sind. Wenn das Leben sich dem Ende nähert, merken viele Menschen oft erst, was sie verpasst haben. Was sie eigentlich gerne in ihrem Leben gemacht und erlebt hätten. Der Gedanke „die Zeit läuft ab“ löst möglicherweise ein Umdenken oder eine Veränderung aus. Aber im Grunde genommen spielt der Satz mit der Angst.

Angst oder Freude?

Was wäre, wenn wir den Fokus weg von der Angst nehmen würden – hin zur Freude? Wenn wir den Satz ein klein wenig verändern würden. „Lebe, als wäre es dein ERSTER Tag!“ Wenn wir so plötzlich nicht den Tod vor Augen hätten, sondern das Leben. Wenn wir Entscheidungen nicht mit Tunnelblick auf unser unausweichliches Ende treffen. Sondern gedanklich zurückgehen zum Beginn unseres Lebens. In uns das Gefühl tragend, dass einfach ALLES möglich ist. Offen dafür sind, dass Gutes auf uns zukommen kann. Können Sie sich noch an diese Leichtigkeit erinnern? Als wir Dinge einfach um ihrer selbst willen gemacht haben. Aus Freude. Nicht um irgendein bestimmtes Ziel zu erreichen. Als wir stundenlang geschaukelt und gerutscht sind. In der Sandkiste Löcher gegraben und Burgen gebaut haben. Fußball oder Fangen gespielt haben. Immer und immer wieder. Ohne zu ermüden. Als wir Astronaut, Prinzessin oder Regenwurm-Dompteur werden wollten. Als wir eine kleine Blume verschenkt haben, als wäre sie der größte Schatz auf Gottes Erden. Als wir wildes Kitzikratzi mit 2 Kugeln auf ein Papier gemalt haben und dieses detailgetreu zu Papier gebrachte Abbild eines Menschen dann stolz der Welt präsentiert haben.

Die Mauern in uns

Lassen Sie uns zurück gehen zu einer Zeit, als noch niemand uns be- und verurteilt hat. Als noch niemand zu uns gesagt hat: „Du kannst das nicht! Das geht nicht! Ich bin enttäuscht von dir! Du bist nicht gut genug! Du bist dumm / schwach / häßlich / wertlos etc.“ Mit jeder Bewertung… jeder Entwertung… jeder Be- und Verurteilung kam ein Ziegel zur Mauer, die wir um unser Herz und unseren Geist bauten, hinzu. So wuchs die Mauer jedes Jahr ein Stückchen mehr. Eigentlich sollte sie uns davor beschützen, verletzt und gedemütigt zu werden. Aber mit ihr wuchs auch die Angst vor dem Leben. Vor dem nächsten Schritt. Mit jedem Ziegel haben wir das Leben mehr ausgesperrt. Und uns mehr eingesperrt.

Wann genau ist eigentlich der Glanz aus unseren Augen verschwunden? Die Magie. Die Freude. Der Mut, Dinge einfach zu MACHEN. Auch auf die Gefahr hin, vielleicht zu versagen. Am Anfang unseres Lebens – nach langem unverständlichen Baby-Brabbeln hat irgendwann das erste richtige Wort unseren Mund verlassen. Einfach so. Egal in welcher Sprache. Eines Tages haben wir begonnen zu krabbeln. Und dann zu gehen. Wir sind bestimmt tausende Male gefallen – aber immer wieder aufgestanden. Ein wenig frustriert. Aber auch voller Freude und Neugier, was wohl als nächstes kommen mag. Nie wäre es uns in den Sinn gekommen zu sagen: „Na gut, jetzt bin ich 436 Mal hingefallen – ich bleib jetzt einfach hier liegen. Mitten auf der Straße. Für den Rest meines Lebens.“

Ohne Lebensfreude und einen Funken Mut würde die gesamte Menschheit in Embryonalstellung am Boden liegen und darauf warten, dass ein Wunder geschieht. Jeden Tag. Wann genau haben wir damit begonnen, im Leben einfach liegen zu bleiben? Wann genau wurde die Lebensfreude von der Angst vertrieben? Wann haben wir aufgehört, aus den Schubladen wieder rauszukraxeln, in die man versucht hat, uns zu stecken? Aufgehört, gegen ein System zu rebellieren, das uns alle gleich machen möchte. Das uns zwingen will, jeden Anflug von Individualität sofort im Keim zu ersticken.

Das Leben meistern

Wahre Meisterschaft im Leben erlangt man nicht dadurch, dass man immer gewinnt. Nie hinfällt. Oder immer genau weiß, was zu tun ist. Wahre Meisterschaft – egal in welchem Bereich – erlangt man, wenn man nicht aufgibt. Wenn man immer wieder aufsteht und seinen Weg weitergeht – egal, wie oft man gestürzt ist. Irgendwie geht‘s immer weiter. Das habe auch ich gelernt auf meinem Weg. Ein Weg, der nicht vorbeigeführt hat an duftenden Rosenbüschen, Straßen aus Gold, gesäumt von jubelnden, unterstützenden Menschen.

Licht und Schatten

Das Leben hat mich zum Licht, aber auch an die finstersten Ecken in mir selbst geführt. Oft habe ich mit dem Leben gehadert. Mit den Umständen. Mit den Menschen. Andere Leute beneidet. Weil ihr Leben vermeintlich leichter ist. Es gibt immer jemanden, dem es besser geht. Genauso wie es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht. Im Laufe der Zeit habe ich meinen Frieden damit gemacht und festgestellt, dass es ok ist, so wie es ist. Solange man nicht in den Schuhen eines Anderen gegangen ist, kann man nicht beurteilen, was sich wirklich hinter dessen Fassade abspielt.

Wir müssen uns also entscheiden. Wir können für immer liegen bleiben. Zetern und fluchen. Auf ein Wunder warten. Aber wenn wir genau hinsehen, erkennen wir vielleicht, dass WIR SELBST das Wunder sind, auf das wir die ganze Zeit gewartet haben. Nur wir selbst können aus der Krise unseres unerfüllten Lebens aussteigen. Uns wie ein Phönix daraus erheben. Niemand anderer kann unser Leben für uns leben. Wir haben es in der Hand, etwas WUNDERbares daraus zu machen.

Das Kartendeck Gottes

Das Leben hat jedem von uns einzigartige Karten in die Hand gegeben und wir sind gefordert, sie bestmöglich auszuspielen. Es nützt nichts, darüber zu schimpfen, dass jemand anderer mehr Trümpfe in die Hand bekommen hat. Auch als „underdog“ kann man sich Ziele setzen und sie erreichen. Schritt für Schritt. Auch große Ziele.

Im besten Fall kommen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir genug gejammert, geschrien und geschimpft haben. An dem wir niemand anderem mehr die Schuld zuschieben können. Weil es uns schlicht und ergreifend nicht weiterbringt. Weil es uns nur weiter in einer Ohnmacht gefangen hält. Selbst, wenn wir im Leben tatsächlich Furchtbares erlebt haben.

Trotzdem bin ich noch da

Natürlich dürfen wir einer Kindheit, einem Leben nachtrauern, das anders glücklicher verlaufen wäre. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass das nunmal unser Leben war. Und mit der Akzeptanz dessen, was war, beginnt die Freiheit. Die Freiheit zu sagen: „Ok, all das ist mir passiert. Nein, es war nicht schön. Aber all das hat mich geformt. All das hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. All das hat mich vielleicht in die Knie gezwungen – trotzdem bin ich noch da. Und ich trage meine Narben mit Stolz.“

Ich geh jetzt schaukeln

Das ist der erste Schritt in ein neues Leben. Jetzt geh ich raus in die Welt und lebe mein Leben. Ich erlaube mir, Dinge zu tun, die mir selbst Freude bereiten. Sogar, wenn andere Menschen mich vielleicht schief anschauen. Ich geh schaukeln. Ich dreh die Musik ganz laut auf. Springe und tanze durch den Raum. Singe laut und falsch mit. Ich fahre mit meinem bunten Blumenrad durch die Gegend. Hüpfe bei Regen im Gras herum. Wutzle mich mit meinen Kindern im Schnee. Lache bis ich weine. Oder weine bis ich lache. Genieße das Leben in vollen Zügen. Überstehe auch Zeiten, die hart sind und mir alles abverlangen. Mein Galgenhumor ist mein bester Freund! Wenn alles grad wieder den Bach runter zu gehen scheint, packe ich mich selbst am Schopf. Schimpfe mit Gott und lache über mich selbst. Über negative Ereignisse. Ungerechtigkeiten. Male mir in meiner Phantasie Szenarien aus, die dann so komplett verrückt sind, dass ich selbst darüber lachen muss. Dann schöpfe ich wieder Kraft. Weiß, dass nach der Nacht auch wieder ein Tag kommen wird. Immer wieder. Auch, wenn manche „Nächte“ nahezu unerträglich lange sind und der letzte Silberstreif am Horizont gerade zu verglühen scheint. Dann denke ich mir: „JETZT ERST RECHT!“

Wenn das Unmögliche möglich wird

Dann orientiere ich mich an Menschen, die das Unmögliche möglich gemacht haben. An blinden Menschen, die Skifahren. An Gehörlosen, die wunderbare Musik machen. An Menschen im Rollstuhl, die Basketball spielen und mich locker vom Platz fegen würden. An Menschen, die keine Hände haben, aber mit ihren Füßen die großartigsten Bilder malen. An beeindruckenden Menschen, die ihr Leben erfolgreich meistern – allen Widrigkeiten zum Trotz!

In Anbetracht der Schöpferkraft dieser herausragenden Persönlichkeiten, erscheinen mir meine vorgeschobenen Gründe dann manchmal wie Ausreden. Die ich mir selbst erzähle, um meine Komfortzone nicht zu verlassen. Um mich meinen Ängsten nicht zu stellen. Sei es die Angst vor Misserfolg oder die Angst vor Erfolg. Beide schränken gleichermaßen ein.

Und manchmal, wenn man sich aus einer Situation gar nicht mehr raussieht, hilft es, die Perspektive zu wechseln…. zum Beispiel beim Schaukeln…

…oder in der Zauberpraxis…